Die dunkle Materie im Genom: Wo die Ursachen der Leukämie liegen

Der Epigenetiker Davide Serrugia, Principal Investigator an der
St. Anna Kinderkrebsforschung, erforscht einen bisher kaum
bekannten Bereich des Erbguts und seine Rolle in der
Entstehung von Leukämie.
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Das lernst du hier:
Warum wurde dieser Bereich bisher kaum erforscht?
Wie geht das Forschungsteam vor?
Was hat das mit Leukämie zu tun?
Warum ist das wichtig?
Das menschliche Genom gilt seit 2001 als entschlüsselt. Die Wissenschaft hat auf dieser Basis einen großen Sprung gemacht im Verständnis der menschlichen Gene und ihrer Wechselwirkung mit lebenswichtigen Proteinen. Man kam zahlreichen Krankheiten auf die Spur. Aus Genen bestehen aber nur 1-2 Prozent des Genoms. Der Epigenetiker Davide Serrugia, Principal Investigator an der St. Anna Kinderkrebsforschung (St. Anna CCRI), erforscht einen bisher kaum bekannten Bereich unseres Erbguts: den viel größeren Platz zwischen den Genen. Dieser riesige DNA-Abschnitt enthält keine klassischen Baupläne für Proteine, sondern Steuerinformationen, die bestimmen, wann, wo und in welcher Menge ein Gen aktiviert wird. Veränderungen in diesen Bereichen können Krankheiten beeinflussen – sind aber schwer zu identifizieren, weil die Regeln dieser Steuerung noch weitgehend unbekannt sind.
Warum wurde dieser Bereich bisher kaum erforscht?
Die nicht-kodierende DNA macht nicht nur den Großteil unseres Erbguts aus, aber es gibt keine einfache „Grammatik“, um ihre Funktion vorherzusagen. Während wir seit den 1960er-Jahren genau wissen, wie Gene Proteine produzieren, fehlt dieses Wissen für die Abschnitte dazwischen. Außerdem ist das Experimentieren mit diesen riesigen Bereichen aufwendig.
Wie geht das Forschungsteam vor?
Serrugias Team nutzt spezielle Enzyme, um gezielt einzelne DNA-Bausteine in diesen Bereichen zu verändern – eine Art „Mikroschnitt-Technik“. Sie verändern die DNA Stück für Stück, um herauszufinden, welche Abschnitte wichtig sind. Sobald eine Veränderung eine messbare Wirkung auf die Zelle hat, wissen sie, dass diese Stelle eine entscheidende Steuerfunktion besitzt.
Um gezielter vorzugehen, analysiert das Team zudem genetische Daten von Tausenden gesunden und erkrankten Menschen. Wenn bestimmte Mutationen in der nicht-kodierenden DNA besonders häufig bei Patienten auftreten, deutet das darauf hin, dass diese Bereiche eine Rolle bei Krankheiten spielen.
Was hat das mit Leukämie zu tun?
Ein Schwerpunkt liegt auf der frühen Entwicklung von B-Zellen, die Teil unseres Immunsystems sind. Manche Mutationen in der nicht-kodierenden DNA können dazu führen, dass sich B-Zell-Vorläufer entweder zu schnell oder zu langsam entwickeln. Das Problem: Bleiben diese Vorläufer länger als vorgesehen im unreifen Zustand, steigt das Risiko, dass sie sich unkontrolliert vermehren – eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung von Leukämie.
Warum ist das wichtig?
Diese Mutationen sind keine direkten Krankheitsauslöser, aber sie erhöhen das Leukämie-Risiko um das Zwei- bis Dreifache. Wer sie trägt, wird nicht automatisch krank, hat aber eine größere Wahrscheinlichkeit zu erkranken. Die Forschung hilft, solche Risiken frühzeitig zu erkennen und könnte langfristig sogar zu neuen Präventionsstrategien führen.
Serrugias Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag, um das große, noch unerforschte „Regelwerk“ unseres Genoms zu entschlüsseln – und damit neue Wege für die Medizin zu eröffnen. Mehr zur Forschung der Seruggia Gruppe hier.