Hoffnung auf neue Therapien durch Epigenetik
Epigenetik ist ein zentraler Bereich der Kinderkrebsforschung. Wissenschafter*innen untersuchen beispielsweise molekulare Treiber von Tumoren. Die Hoffnung ist groß, dass man auf derartigen Wegen neue Therapien finden kann. Die St. Anna Kinderkrebsforschung (St. Anna CCRI) legt seit langem einen Schwerpunkt auf Epigenetik und veranstaltete nun ein Vernetzungstreffen.
Tumoren von Erwachsenen haben viele DNA-Mutationen, die zu all den Eigenschaften führen, durch die der Krebs gefährlich wird: unkontrolliertes Wachstum, Invasion in benachbartes Gewebe und Umgehung des Immunsystems. Auch Kinderkrebs zeigt diese Veränderungen, jedoch weisen die Tumore kaum DNA-Mutationen auf. Hier kommt die Epigenetik ins Spiel. Die Forschung beschäftigt sich unter anderem mit molekularen „Schaltern“, die Gene aus- oder einschalten und damit Einfluss auf den Krebs haben können.
Erkenntnisse wie diese sind entscheidend, um neue Behandlungswege zu finden, die für betroffene Kinder schonender sein könnten. Forschung im Bereich der Epigenetik ist also höchst relevant, zumal es noch viele offene Fragen gibt. Deshalb richtete die St. Anna Kinderkrebsforschung (St. Anna CCRI) gleich mehrere Forschungsgruppen mit einem Schwerpunkt in diesem Bereich ein. Um sich international zu vernetzen, wurde kürzlich ein Diskussionsnachmittag mit internationalen Spitzenforscher*innen veranstaltet – im Van-Swieten-Saal der Medizinischen Universität Wien. Organisiert wurde die Tagung von Davide Seruggia, Eleni Tomazou, Florian Grebien und Kaan Boztug, alle vier Principal Investigator am St. Anna Kinderkrebsforschung.
Welche Rolle haben Enhancer in der Krebsentstehung?
Die Arbeiten von Paola Scaffidi und ihrem Team am Department of Experimental Oncology des European Institute of Oncology (IEO) in Mailand zeigen, wie epigenetische Veränderungen durch die Funktion der Enhancer, genetische Instabilität und die Interaktion mit der Tumor-Umgebung die Krebsentwicklung beeinflussen. In Ihrem Vortrag betonte sie dass die Kombination daraus der Krankheitstreiber ist. Man könnte sagen: Wenn ein Gen der Inhalt eines Briefes ist, sind die Enhancer die Adresse auf dem Umschlag. Welche spezifischen Zellen sind die Empfänger der Botschaft? Und Mutationen an Enhancern können dramatische Auswirkungen haben: Eine Botschaft wird an das falsche Gewebe im Körper gesendet, sie wird verzögert oder geht ganz verloren. Eine Art Kettenreaktion wird ausgelöst, während der zelluläre „Bremsen“, so genannte Tumorsupressor-Gene stillgelegt werden. Die Zellen verlieren die Fähigkeit, sich selbst zu reparieren oder kontrolliert abzusterben – was zur Tumorbildung beiträgt.


Enhancer mit computergestützten Methoden untersuchen
Judith Zaugg, Professorin für Molekulare Medizin an der Universität Basel, leitet eine Forschungsgruppe, die sich Ich auf sogenannte Enhancer konzentriert. Sie untersucht, wie Fehler in diesen Enhancern, durch genetische Veränderungen oder äußere Einflüsse, Krankheiten wie Krebs oder genetische Störungen auslösen können Zaugg berichtete, sie nutzen dafür computergestützte Methoden. Sie wollen verstehen, wie unsere DNA reguliert wird und wie diese Prozesse Krankheiten beeinflussen können.
Welches Gen kann zum Hirntumor Medulloblastom führen?
Die Forschung von Alexis Kentsis und seinem Team am Memorial Sloan Kettering Cancer Center zeigt, dass ein Gen namens PGBD5 eine Schlüsselrolle bei der Entstehung bestimmter Kinderkrebserkrankungen, insbesondere Medulloblastomen (Hirntumor im hinteren Bereich des Schädels), spielen könnte. Das Gen PGBD5 kann spezifische DNA-Brüche und -Umlagerungen verursachen. Diese Veränderungen führen zu Mutationen in Genen, die das Tumorwachstum steuern.


Wie kann man Krebszellen schwächen?
Iannis Aifantis von der NYU-School of Medicine untersucht, wie das Erbgut organisiert ist und welche Rolle diese Strukturen bei einer bestimmten Art von Blutkrebs (akute T-Zell-Leukämie, T-ALL) spielen. Die Forscher*innen um Aifantis haben herausgefunden, dass diese 3D-Chromatin-Hubs bestimmte Gene aktivieren, die das Überleben der Krebszellen fördern. Aber was genau sind 3D-Chromatin-Hubs? Es sind Bereiche im Zellkern, in denen mehrere DNA-Abschnitte eng beieinander liegen und gemeinsam steuern, welche Gene an- oder ausgeschaltet werden. Aifantis erklärte, dass ein bestimmtes Steuerungsgen namens MYB eine zentrale Rolle spielt: Wenn man es blockiert, kann das Krebszellen schwächen.
Junge Kinderkrebsforscher*innen am St. Anna CCRI
Im Rahmen des Symposiums stellten auch zwei junge Principal Investigator der St. Anna Kinderkrebsforschung ihre Arbeit vor. Polina Kameneva beschäftigt sich mit dem Entstehen des Neuroblastom. 49 % aller Neuroblastome entstehen in der Nähe der Nebennieren. Warum das so ist, weiß man noch nicht. Um das herauszufinden, hat das Team die Entwicklung der Nebenniere untersucht. Sie entdeckten, dass im frühen Entwicklungsstadium viele sympathische Nervenzellen vorhanden sind und untersuchten, wie sich diese Zellen im Laufe der Entwicklung verändern. Für Ihre Forschung erhielt sie 2024 den renommierten FWF Starting Grant.


George Cresswell berichtete schließlich, wie chromosomale Instabilität (wenn Zellen Fehler bei der Verteilung ihrer Chromosomen während der Zellteilung machen), die Entwicklung von Krebs beeinflusst – ein zentrales Thema des Teams für Krebsentwicklung und Genomik. Er stellte eine Studie (Nature Cancer) vor, die er in seiner Zeit am Institute of Cancer Research (Sottoriva lab, London) durchführte. Sie zeigt, dass eine große Vielfalt von Chromosomenveränderungen bei der Diagnose mit einem schnelleren Wiederauftreten des Tumors in einer klinischen Studie über Prostatakrebs korreliert. Anschließend übertrug er diese Erkenntnisse auf Kinderkrebs und erklärte, dass Krebs bei Kindern eine besondere Form der Krebsentwicklung darstellt. Erste Ergebnisse zeigen auch bei ihm, dass chromosomale Instabilität auch bei kindlichem Nierenkrebs eine wichtige Rolle für den Krankheitsverlauf spielen könnte.
Am Ende all dieser wichtigen Forschung könnte stets eine klinische Anwendung stehen. Bis dahin braucht es noch zahlreiche weitere wissenschaftliche Arbeiten von Wissenschafter*innen, die mit Neugier und Ausdauer offene Fragen klären.









