Krebsprotein für Therapien angreifbar machen –
Davide Seruggia erhält FWF-Förderung für „Einzelprojekt“
(Wien, 10.8.2022) Schwachstellen jener Tumorerkrankungen aufspüren, die vom Krebsprotein „MYC“ angetrieben werden: Das ist das Ziel eines neuen, vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts an der St. Anna Kinderkrebsforschung. Davide Seruggia und Kolleg:innen wollen die Überaktivität von MYC drosseln, indem sie einen eng mit ihm verbundenen Eiweißkomplex auf mögliche Angriffspunkte für Therapien scannen.
Bei der Entstehung vieler Krebsarten des Menschen spielt das Protein MYC eine wichtige Rolle. Es steuert unter anderem Leukämien und Neuroblastome, zwei der häufigsten Krebsarten im Kindesalter. Das zugehörige Gen MYC hat normale Funktionen bei der Regulierung des Zellwachstums, kann aber bei übermäßiger Aktivierung Krebs verursachen. Trotz enormer Anstrengungen stecken geeignete Strategien zur Hemmung von MYC bei Krebs noch in den Kinderschuhen.
Das nun vom FWF finanzierte „Einzelprojekt“ unter der Leitung von Dr. Davide Seruggia an der St. Anna Kinderkrebsforschung zielt darauf ab, die krebserregende Überaktivität von MYC hintanzuhalten. Um das zu erreichen, nehmen die Forscher:innen den Eiweißkomplex SAGA genauestens unter die Lupe, denn er beeinflusst sowohl die Produktion als auch die Aktivität von MYC. Kooperationspartner:innen in diesem Projekt sind das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Österreich) sowie die Harvard Medical School (USA).
Krebs an seinem wunden Punkt treffen
„Wir charakterisieren Schlüsselbestandteile des SAGA-Komplexes, um jene Bereiche zu erkennen, die für die Krebsentstehung am wichtigsten sind. Solche Bereiche könnten als Ziel für neue Medikamente zur Behandlung von MYC-gesteuerten Krebsarten dienen“, erklärt Seruggia.
MYC zählt zu den sogenannten Master-Transkriptionsfaktoren, die für das An- und Abschalten bestimmter Abschnitte in der DNA zuständig sind. Sie aktivieren oder unterdrücken selektiv hunderte von Genen und organisieren ganze Genexpressionsprogramme, die die Zellidentität, Differenzierung und sogar Tumorentstehung steuern. Um diese Funktionen auszuführen, sind Transkriptionsfaktoren häufig auf Ko-Faktoren wie SAGA angewiesen, einem Proteinkomplex mit 20 Komponenten, die direkt mit MYC zusammenspielen.
„Entscheidend für die Einreichung unseres Projekts waren vorläufige Ergebnisse, die zeigen, dass die Bindung von MYC an seine Zielgene beeinträchtigt ist, wenn zwei spezifische SAGA-Komponenten in embryonalen Stammzellen der Maus entfernt werden. Wir vermuten, dass das Gleiche auch bei Krebszellen der Fall sein könnte, insbesondere bei MYC-abhängigen“, schildert Seruggia.
„Wir zerlegen SAGA wie einen Automotor“
Die Forscher:innen untersuchen systematisch, wie Komponenten des SAGA-Komplexes gezielt eingesetzt werden können, um die MYC-Überaktivität in menschlichen Krebszellen zu hemmen. Dabei verwenden sie einen dreistufigen Ansatz:
- In Schritt eins erfolgt ein genaues Screening aller 20 SAGA-Komponenten in hoher Auflösung (Nukleotid-Level). Das erlaubt die Erstellung einer umfassenden Landkarte möglicher Schwachstellen von MYC-gesteuerten Krebsarten.
- Schritt zwei konzentriert sich auf das Chromatin, das genetische Grundmaterial in unseren Zellkernen, und die Genexpression: so sollen die Funktionen einzelner in Schritt eins ermittelter SAGA-Komponenten und Proteindomänen untersucht werden. Die Forscher:innen wollen herausfinden, wie Mutationen bzw. die Entfernung einzelner Komponenten in SAGA die Genexpression von MYC und die MYC-Beladung des Chromatins beeinflussen.
- Schritt drei zielt darauf ab, Hierarchien und Abhängigkeiten beim Zusammenbau von SAGA zu klären. Mit Hilfe der Proteomik sollen Strategien untersucht werden, die den Zusammenbau des SAGA-Komplexes stören. In diesem Schritt wird auch geprüft, ob bestimmte Medikamente den Aufbau von SAGA verhindern können und somit als potenzielle Therapie gegen MYC-gesteuerte Krebsarten in Frage kommen.
Davide Seruggia vergleicht seinen methodischen Ansatz mit dem Zerlegen eines Automotors: „Zunächst suchen wir nach genetischen Mutationen in allen 20 Teilen des Motors, wobei der Motor für den SAGA-Komplex steht. Wir nehmen an, dass wir mindestens ein oder zwei besonders vielversprechende Teile des Motors finden werden. Als Zweites untersuchen wir die Leistung, also die Chromatinfunktion, des Motors und schauen, was passiert, wenn wir jedes seiner 20 mechanischen Teile einzeln entfernen. Und als drittes sehen wir uns an, wie diese Maschine aus Proteinen aufgebaut ist und wie wir deren Aufbau blockieren können.“