Medikamenten-Kombi schrumpft Kinderkrebs in Zebrafischen

(c) Harald Eisenberger

(Wien, 9.3.2023) Eine Kombinationstherapie gegen kindlichen Knochenkrebs zeigt erste Erfolge in lebendem Organismus: Verpflanzt man den Tumor in Fischlarven und behandelt diese mit bestimmten Medikamenten, dann verkleinert sich der Tumor massiv oder verschwindet sogar ganz. Bis zur Anwendung bei Kindern sei es aber noch ein weiter Weg, so Dr. Martin Distel von der St. Anna Kinderkrebsforschung, dessen Forschungsgruppe diese Ergebnisse im Fachmagazin Cancer Letters veröffentlichte.

Zebrafischlarven helfen bei der Suche nach Medikamenten gegen aggressive kindliche Knochen- und Weichteiltumore, sogenannte Ewing-Sarkome. Denn die Tumorentwicklung in Fischlarven dauert nur 24 Stunden und kann im durchsichtigen Organismus live verfolgt werden. Forscher:innen der St. Anna Kinderkrebsforschung haben nun einen Arbeitsprozess entwickelt, der in nur einer Woche die halbautomatisierte Testung von bis zu zwölf (Kombinations-)therapien gegen Tumorzellen erlaubt. „Außerdem haben wir drei Medikamenten-Kombis gefunden, die den Tumor ausmerzen oder zumindest deutlich verkleinern“, erklärt Sarah Grissenberger, MSc, Erstautorin der Publikation und PhD-Studentin in Distels Team.

Zelltod in Tumorzellen einschalten
Am wirkungsvollsten war die gleichzeitige Behandlung der Fischlarven mit zwei Wirkstoffen, die den „programmierten Zelltod“ der Tumorzellen wieder ermöglichen. „Der Körper schützt sich, indem er Zellen, bei denen etwas falsch läuft, in den programmierten Zelltod schickt“, erklärt Grissenberger. „Tumorzellen tun aber alles, um zu überleben und schalten diesen Mechanismus aus. Mit den beiden Medikamenten werfen wir dieses Programm wieder an.“ Diese „Killer-Kombination“ (aus MCL-1/BCL-XL-Inhibitor) wurde bisher nur in Zellkulturen getestet. Nun gibt es die ersten Ergebnisse aus einem lebenden Organismus: „Der Tumor verschwindet gänzlich, wenn wir diese Medikamente bei Fischlarven anwenden“, sagt Distel. Zwei weitere Kombinationstherapien (mit jeweils einem MCL-1- oder BCL-XL-Inhibitor plus Irinotecan) wurden bis dato noch nie getestet, bewirkten in der vorliegenden Arbeit aber eine deutliche Verkleinerung des Tumors.

Leider ist die hochwirksame Behandlung auch mit vielen Nebenwirkungen verbunden – wie sich in weiteren Experimenten zeigte. „Gibt man die Medikamente nacheinander, sind sie besser verträglich, aber auch weniger wirksam“, so Distel. Nachdem bereits unterschiedliche Präparate mit demselben Wirkmechanismus existieren, gebe es aber noch viele Schrauben, an denen man drehen könnte, um Nebenwirkungen zu verringern. „Die Medikamentenentwicklung ist jedoch langwierig. In meinem Labor arbeiten wir intensiv an den Grundlagen, bis zur Anwendung bei Kindern wird es aber leider noch dauern.“

Erster Schritt zu neuer Behandlung
Dass es überhaupt möglich ist, viele Medikamente in so kurzer Zeit in einem lebenden Organismus zu testen, sei aber bereits ein riesiger Fortschritt, so die Wissenschafter:innen. „Es gibt weltweit nur wenige Labore, die solche Screenings durchführen können“, so Distel. Die Forscher:innen bringen Tumorzellen von Patient:innen oder aus Zelllinien in Fischlarven ein. Nach 24 Stunden entwickelt sich ein Tumor, der dann sofort behandelt wird. Nach weiteren zwei Tagen sieht man bereits die Wirkung.

„Somit lassen sich mögliche neue Therapien zu einem sehr frühen Zeitpunkt stark eingrenzen, wodurch wir viel Zeit gewinnen“, erklärt Distel. „Das Ewing-Sarkom ist immer noch eine der am schwierigsten zu behandelnden Kinderkrebsarten. Dass wir Medikamente gefunden haben, die bei lebenden Organismen so gut wirken, ist ein wichtiger erster Schritt. Die weitere Erforschung dieser Wirkmechanismen in Richtung klinischer Anwendung wäre wünschenswert.“

Sarah Grissenberger, MSc, und Dr. Martin Distel veröffentlichen Ergebnisse zu möglichen Therapien für das Ewing Sarkom, einem aggressiven Tumor bei Kindern und Jugendlichen.

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Ewing-Sarkom
Das Ewing-Sarkom ist ein sehr aggressiver Knochen- und Weichteiltumor, der hauptsächlich bei Kindern und Jugendlichen auftritt. Die 3-Jahres-Überlebensrate liegt bei risikoadaptierter, multimodaler Behandlung zwischen 50 und 80 Prozent. Ziel der Wissenschafter:innen der St. Anna Kinderkrebsforschung ist es, eine Heilung für deutlich mehr Patient:innen als bisher zu ermöglichen. Die derzeitigen Chemotherapien haben beträchtliche Nebenwirkungen, die die Lebensqualität langfristig beeinträchtigen und zu weiteren Krebserkrankungen führen können. Trotzdem helfen sie leider längst nicht allen Patient:innen. An der St. Anna Kinderkrebsforschung beschäftigen sich neben Martin Distel und seinem Team auch die Gruppen von Heinrich Kovar, Eleni Tomazou und Florian Halbritter intensiv mit der Erforschung und der möglichen Behandlung von Ewing-Sarkomen.

Über Martin Distel
Dr. Martin Distel (PhD) absolvierte ein Studium der Molekularen Biotechnologie an der Technischen Universität München, Deutschland, sowie an der Universität Lund, Schweden. Er promovierte am Helmholtz-Zentrum München unter der Leitung von Reinhard Köster und entwickelte genetische Genexpressionswerkzeuge zur Untersuchung der Entwicklung des Kleinhirns im Zebrafisch. Zudem arbeitete er mit Daniel Razansky am Helmholtz-Zentrum München zusammen, um die opto-akustische Bildgebung für Zebrafische zu entwickeln. Als Postdoktorand war er im Labor von David Traver an der University of California, San Diego, im Bereich der Hämatopoese von Zebrafischen tätig.
Im Jahr 2014 kam Distel an die St. Anna Kinderkrebsforschung, wo er ein Zebrafischlabor und eine Zebrafischanlage aufbaute. Seit 2017 ist er auch Leiter der Zebrafisch-Plattform Österreich für präklinisches Wirkstoffscreening an der St. Anna Kinderkrebsforschung.

Über Sarah Grissenberger
Sarah Grissenberger, MSc, hat an der Technischen Universität in Graz ihren Bachelor in Molekularbiologie und ihren Master in Biochemie & molekularer Biomedizin absolviert. Sie schloss ihr Master-Studium mit Auszeichnung ab. Im Zuge ihrer Dissertation arbeitet sie an unterschiedlichen Zebrafischmodellen für das Ewing-Sarkom, um diese Tumorart besser untersuchen zu können und neue, gezielte Therapieansätze zu entwickeln. Für die Umsetzung des vorliegenden Projekts in der Gruppe von Martin Distel erhielt sie ein DOC-Fellowship der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

(c) St. Anna CCRI

Publikation
High-content drug screening in zebrafish xenografts reveals high efficacy of dual MCL-1/BCL-XL inhibition against Ewing sarcoma
Sarah Grissenberger, Caterina Sturtzel, Andrea Wenninger-Weinzierl, Branka Radic-Sarikas, Eva Scheuringer, Lisa Bierbaumer, Vesnie Etienne, Fariba N´emati, Susana Pascoal, Marcus Totzl , Eleni M. Tomazou, Martin Metzelder, Eva M. Putz, Didier Decaudin, Olivier Delattre, Didier Surdez, Heinrich Kovar, Florian Halbritter, Martin Distel*

*Corresponding Author
Cancer Letters 2023; Feb 1; 554: 216028; DOI: 10.1016/j.canlet.2022.216028

Förderung
Diese Arbeit wurde unterstützt von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) der Alex’s Lemonade Stand Foundation, dem Österreichischen Wissenschaftsfonds und einem DOC-Fellowship der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.